Für meinen MonTALK konnte ich dieses Mal Diana Ringelsiep, Kultur- und Musikjournalistin vom Blog URBAN LIFESTYLE TRASH gewinnen.
Dort „bloggt sie über ihre Arbeit, das Leben & den alltäglichen Wahnsinn.“
Ihre Antworten rocken. Das kann ich euch versprechen.
Und ich? Ich war die Quotenschwangere auf dem Ruhrpott Rodeo.
Praline mit Füllung
Ohne auch nur einen Schluck Alkohol auf einem Punkrockfestival? Wohl eher nicht.
Eine Ferienwohnung übers Ruhrpott Rodeo mieten, 10 Minuten Fahrt vom eigentlichen Geschehen entfernt? Ach iwo.
Mit Campingstuhl aufs Gelände? Äh – nein.
Mutterpass statt Bier im Gepäck? Nicht auszudenken.
Ich war schwanger auf einem Punkrockfestival. Dem Punkrockfestival.
Bereits ein Wochenende vor meiner Hochzeit 2014 war ich mit Freunden dort gewesen.
Und jetzt zwei Jahre danach wieder.
Es war gut. Es war anders. Es war neu. Völlig unbenebelt Musik erleben und tanzen, nur so lange es die Symphysis erlaubt, ein außergewöhnliches Gefühl. Und dann auch noch ein kleiner Mensch, der da in dir alienartig mitrockt.
Musikalische Früherziehung
Die Meinungen dürfen ruhig geteilt bleiben, obwohl es sogar wissenschaftlich bestätigt ist, dass Bässe das wachsende Baby im Mutterleib höchstens verunsichern, vielleicht stören, nicht jedoch schaden. Aber mal ehrlich: Wer will schon jedes Wochenende auf einem Festival sein? Ich jedenfalls nicht. Selbst nicht-schwanger.
Das Leben ist schließlich kein Festival.
Sollte aber immer ein bisschen wie eines sein.
Selbst die sympathische Kultur- und Musikjournalistin Diana Ringelsiep, die ich nach dem 10 Jahre Ruhrpott Rodeo Spektakel zu einem MontalkSchnack begeistern konnte, äußert ehrlich: „Wow, das muss man erst mal durchziehen!“
Ihr war eine Schwangere auf dem Gelände aufgefallen. Auf Instagram stellten wir fest, dass es sich dabei tatsächlich um mich gehandelt hatte.
Der Rest ist MontalkSchnack.
Wie war dein (Ruhrpott Rodeo) Wochenende, Diana Ringelsiep?
Das Rodeo zählt zu meinen Herzensfestivals. Diesmal bin ich mit rund 20 Freunden angereist, was bereits für eine gewisse Grundeuphorie gesorgt hat, da wir mittlerweile überall verstreut wohnen und uns in dieser Konstellation bloß einmal im Jahr sehen. Lieblingsbands wie Dritte Wahl, Leftöver Crack und UK Subs haben den perfekten Soundtrack geliefert, Jello Biafra und The Adolescents waren überragend. Ich fand auch Rapperin Sookee super, die auf der kleinen Bühne eingesprungen ist. Ansonsten hat mir unser Promilletester sehr viel Freude bereitet und ich habe es geschafft, die größte Falafel-Sauerei zu veranstalten, die Hünxe je gesehen hat.
Du bloggst über deine Arbeit, das Leben und den alltäglichen Wahnsinn. Wie hat das alles angefangen?
Ich bin studierte Kulturjournalistin und habe mich schon früh auf Musik spezialisiert. Nach dem Studium habe ich für verschiedene Magazine geschrieben und später mit Freunden das PUNKROCK! Zine gemacht. Über zwei Jahre haben wir uns den Arsch für das Heft aufgerissen, haben vor Druckschluss bis zu 18 Stunden täglich gearbeitet und unser gesamtes Herzblut hineinfließen lassen. Doch dann hat der Verlag seine Musikmagazine überraschend eingestellt. Da war ich bedient. Kurz darauf bekam ich die Chance, bei einer Agentur als Redaktionsleitung für ein kommerzielles Entertainment-Magazin anzufangen. Da mir meine Kolumne und der Musikjournalismus jedoch schnell fehlten, habe ich beschlossen, als Ausgleich zum Job mit dem Bloggen anzufangen. Im letzten März war es dann soweit und ich bin mit URBAN LIFESTYLE TRASH online gegangen.
Auf deinem Blog urbanlifestyletrash.com kommen so einige Kategorien zusammen. DIY, Mucke, Journalismus, Literatur, Filme, Rezepte, Styling, Politik, Privates, Reisen … Was wäre, wenn man dir aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen Themen wegnehmen würde: Auf welche 3 Topics würdest du auf gar keinen Fall verzichten wollen und warum?
Im Grunde handelt es sich gerade noch um eine Testversion. Ich wollte mir die die Freiheit lassen, abzuwarten, wo die Reise hingeht. Daher bin ich mit einer Vielzahl von Themen an den Start gegangen. Seit dem Launch ist nun fast ein halbes Jahr vergangen und ich habe zu meiner Überraschung festgestellt, dass es mir besonders viel Spaß macht, persönliche Texte zu schreiben. Noch überraschter war ich, dass gerade die auf großes Interesse stoßen. Mir schreiben wildfremde Leute, dass sie sich in meinen Alltagsgeschichten wiedererkennen und mit mir mitfiebern – damit hätte ich nie gerechnet. In Sachen D.I.Y. ist hingegen seit dem Launch nichts mehr passiert. Daher werden die Rubriken bald noch mal überarbeitet. Doch so viel sei verraten: Ich werde nicht aufhören, mich musikjournalistisch auszutoben. Ich werde nicht aufhören, aus meinem Leben zu erzählen. Und ich werde ganz sicher niemals damit aufhören, Nazis zu sagen, dass sie Scheiße sind.
Von Atti Mülders, der Punkrockenden Schulrektorin, bis ZSK: An die 100 Musikgrößen hast du nach eigenen Schätzungen bereits interviewt. Hand aufs Herz – Wer fehlt dir noch auf deinem Blog, wer war wirklich »schwierig zu bekommen« und wem würdest du die Interviewanfrage aus heutiger Sicht besser wieder entziehen?
Das ist wie mit dem Plattensammeln: Du kannst es jahrzehntelang machen und trotzdem werden dir immer welche fehlen. Ich würde zum Beispiel gerne einen der noch verbliebenen Dinosaurier interviewen – Iggy Pop oder Keith Richards.
„Schwer zu kriegen“ waren die meisten Interviews nicht, da ich viele für Print-Magazine geführt habe. Solche Termine gehen in der Regel mit der Promotion einer neuen Platte einher und liegen somit auch im Interesse der Musiker. Ich erinnere mich jedoch, dass es ein ganz schöner Akt war, Wanda Jackson ans Telefon zu kriegen. Der Verlag hatte bereits alles vereinbart und ich sollte per Mail bloß noch einen Termin mit ihrem Mann und Manager Wendell ausmachen. Doch der gute Mann war bereits über 70 und Emails nicht gerade sein bevorzugtes Kommunikationsmittel. So vergingen einige Wochen, bis er sie mal wieder checkte und auf eine meiner Anfragen reagierte – in Großbuchstaben. Als ich die beiden dann einige Monate nach dem Interview auf einem Konzert kennenlernte, nahmen sie mich mit in ihre Garderobe und hörten gar nicht mehr auf, sich dafür zu bedanken, dass der Artikel auf fünf Seiten erschienen war. Doch das hatte sie sich selbst zu verdanken, denn Wanda hatte mir ein fantastisches Interview gegeben – bis heute wohl eins der besten, das ich je geführt habe.
Geflucht habe ich hingegen oft über kleine Bands, denen ich bloß einen Gefallen tun wollte. Komischerweise sind es meistens gerade die, die sich im Anschluss wie Mariah Carey aufführen, sodass man beim 38. Änderungswunsch am liebsten schreiend auf „Delete All“ klicken würde.
Festivalstimmung: Du bist live vor Ort, wenn etwas passiert. Was empfiehlst du als Festivalerprobte und Musikjournalistin: Ohne welche Utensilien würdest du dich niemals zu einem Festivalwochenende begeben? Umgekehrt: Was ist total überflüssig? Was würdest du auf jeden Fall Zuhause lassen?
Ich packe immer auf den allerletzten Drücker und vergesse dann die Hälfte, daher kann ich dir aus eigener Erfahrung versichern, dass man immer irgendwie überlebt.
Allerdings bezweifle ich, dass das auch ohne Desinfektionstücher für die Hände (Dixie!), Schmerz– und Übelkeitstabletten (Kater!) und Sonnenbrille (Augenringe!) möglich wäre.
Diese drei Dinge sind absolut unverzichtbar. Überflüssig hingegen sind Generatoren, Kühlschränke, Zapfanlagen, Standboxen und Megaphone. Irgendwas haben diese Menschen am Prinzip „Festival“ nicht verstanden.
Mal ehrlich: Du bist tapfer, gehst am Interviewtag voller Konzentration und Vollanspannung, eher mal mit einem Fläschchen Wasser als einem Dosenbier ins Interview mit den Musikern, während die anderen (weiter)feiern.
»Ich liebe, was ich mache, sonst würde ich mir das alles wohl kaum antun«, sagst du selbst.
Wann ist dir das genau das am allerallerschwersten gefallen? Hast du einen Moment vor Augen?
Es nervt, auf Festivals von besoffenen Bekannten um die Akkreditierung beneidet zu werden. Denn während die sich eine Show nach der anderen ansehen, sitze ich oft stundenlang auf Abruf im Pressebereich, nippe an einer Cola und gehe die Fragen fürs nächste Interview durch. Ich kriege nicht mehr zusammen, wie viele Lieblingsbands ich so bereits verpasst habe, doch es gibt ein Anti Flag-Interview vom belgischen Groezrock Festival, das gefilmt worden ist. Da frage ich Chris#2, ob er schon die Gelegenheit hatte, sich selbst ein paar Shows anzusehen und er antwortet: „No, but I can hear Hot Water Music behind me and it’s breaking my heart, I wanna go crazy fort them!“ Man sieht mir an, wie sehr er mir aus der Seele spricht und ich antworte: „Me too!“ Dann lachen wir beide kurz über die absurde Situation und machen weiter unseren Job. Das macht Spaß, aber es ist Arbeit.
Wunschfrei: Stell dir vor, du könntest deinen heißesten Musiktipp, auf deinem Wunschfestival, mit alkoholischem oder antialkoholischem Lieblingsgetränk, deiner provokativsten Lieblingsfrage passend in deinen Lieblingsklamotten zu deinem Wunschwetter interviewen.
Wie sähe das Foto dazu aus, das man für Instagram schießen würde und was wäre die Frage, die in der Sprechblase stünde? Ach so: Und die Antwort würde mich natürlich auch interessieren.
Ich habe Fotos vom Rebellion in England, vom Punk Rock Holiday in Slowenien und vom Punk Rock Bowling in Las Vegas, daher fehlt mir noch eins vom Flogging Molly Cruise in der Karibik. Die laden jedes Jahr ein paar ziemlich coole Bands auf ein Kreuzfahrtschiff ein. Dort kann man sich eine Kabine mieten und zu bester Live-Musik ein paar Tage lang die Bahamas umrunden. Auf meinem Wunschfrei-Foto würde ich also beim Flogging Molly Cruise mojitoschlürfenderweise mit Brody Dalle auf dem Pool-Deck abhängen. Wir würden super heiße Badeanzüge und Nietenwesten tragen und ich würde sie fragen: „Brody, what about a Distillers reunion?“ Und in ihrer Sprechblase würde stehen: „Fuck, yeah!“
Püppchen, Politik und Pop: Während deiner Zeit in Berlin lebtest du am Dorfplatz »einer Kreuzung im Friedrichshainer Nordkiez, die durch das dort ansässige Hausprojekt Rigaer94 als Berlins Epizentrum linksextremer Gewalt gilt.« Was assoziierst du mit den Schlagworten:
Linksextremismus: Mein Herz schlägt links, das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Trotzdem habe ich keine Lust, mir von irgendeinem Penner das Auto anzünden zu lassen, für den ich das kapitalistische Feindbild verkörpere, bloß weil ich eins besitze. Diese Typen stehen bei Demos auf derselben Seite wie ich, aber nicht, um für die gute Sache einzustehen, sondern um im Anschluss zu eskalieren.
Als ich in der Rigaer Straße gewohnt habe, konnte ich das oft beobachten. Da haben den ganzen Tag hunderte Leute friedlich demonstriert, um sich mit dem Hausprojekt Rigaer 94 solidarisch zu zeigen. Doch es war immer ein Idiot darunter, dem es sichtlich in den Fingern juckte. Der hat dann im Vorbeigehen herumstehende Polizisten getreten, um Unruhe zu stiften und im Anschluss am lautesten „Bullenschweine“ von allen geschrien. Ich bin selbst kein großer Fan der Polizei, doch manche Leute sehnen sich förmlich nach Eskalation, weil ein friedlicher Polizeieinsatz ihren Anarcho-Lifestyle in Frage stellen würde. Leider steht am nächsten Tag immer bloß der in der Zeitung, der das Baustellen-Dixie angezündet hat und die restlichen 499 Demonstranten werden dann mit dem einen Depp assoziiert.
Er selbst glaubt wahrscheinlich, Ängste bei Investoren und Politikern zu schüren, dabei spielt er denen bloß in die Karten und schadet der eigentlichen Sache. Dennoch würde ich Links- und Rechtsextremismus niemals auf eine Stufe stellen, denn es kann nur eine unterste Schublade geben.
Ramones-Shirt von Primark: Mein Freund ist Lehrer an einer Brennpunkt-Schule und hatte neulich einen Schüler in einem Johnny Cash-Shirt im Unterricht sitzen, auf dem ein Portrait des Sängers und ein „CASH“-Schriftzug abgebildet war. Er fragte den Jungen, ob er gerne Johnny Cash höre, doch der hatte keine Ahnung, wovon sein Lehrer sprach. „CASH“ stehe für „Money“ und hätte was mit Hip Hop zu tun, klärte er ihn auf.
Zuhause haben wir später gut gelacht. Doch dann ist mir mein Lieblingsshirt von 1995 wieder eingefallen: Es war schwarz und mit einem silbernen Public Enemy-Schriftzug und einer Zielscheibe bedruckt. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, dass es sich dabei um eine Hip Hop-Kombo handelte. Ich war der Cash-Junge.
Was Primark angeht: Niemand sollte in einem Laden einkaufen gehen, in dem es Jeans für 8,00 Euro gibt. Doch solange ich selber Chucks trage und regelmäßig bei H&M reinschaue, bin ich nicht in der Position, die zu verurteilen, die es trotzdem tun. Die Produktionsbedingungen sind fast überall gleichermaßen menschenverachtend – das ist bei Markenmode nicht anders. Dahingehend bedarf es größerer Schritte als einen Primark-Boykott, auch wenn das ein Anfang ist.
Mainstream: Auch wenn Mainstream in Punkrock-Kreisen sehr verpönt ist, steht das Wort ja erst mal bloß für den „Geschmack der großen Masse“ und das muss ja nicht zwingend etwas Schlechtes sein. Wie die meisten Leute, habe ich ein Facebook-Profil und einen Spotify-Account, neulich habe ich mir sogar einen Jumpsuit gekauft. Das ist ja auch alles Mainstream.
Andererseits hole ich mir nach einem guten Konzert auch die Schallplatten am Merchandise-Stand, ich gehe gerne in Programmkinos und meine Wohnung ist voll mit alten Möbeln. Es sollte jeder für sich entscheiden, welchen Trend er mitmacht und welchen nicht. Doch unreflektiertes Mainstream-Bashing habe ich noch nie verstanden. Wieso sollte ich eine coole Band plötzlich scheiße finden, nur weil sie im Radio gespielt wird? Musiker, die jahrelang hart dafür gearbeitet haben, sollen ernsthaft das Angebot ausschlagen, von ihrer Musik leben zu können und weiter in Jobs arbeiten, die sie hassen, nur um irgendeinem Pseudo-Punkrock-Kodex zu entsprechen?! Was für ein Bullshit!
Wenn du mich fragst, sind das dieselben Leute, die sich über den Bierpreis beim Rodeo beschweren und im nächsten Atemzug größere Headliner fordern.
AfD: Heimlich warte ich noch immer auf eine große Enthüllungsstory: „Breaking News: Beatrix Amelie Ehrengart Eilika von Storch, Herzogin von Oldenburg, ist eine von Böhmermann und Kalkofe erschaffene Kunstfigur und die AfD eine erfundene Satire-Partei, die Deutschland den Spiegel vorhält.“
Doch langsam schwindet meine Hoffnung, dieses Horrorszenario dauert einfach zu lang. Die gesamte Entwicklung rund um AfD, Pegida & Co. stimmt mich gleichermaßen traurig wie wütend. Es ist mir unbegreiflich, wie dumm all die Menschen sind, die glauben und nachplappern, was diese Gurkentruppen erzählen. Man muss nicht mal besonders gebildet sein, um zu erkennen, dass es sich bei allem was aus dieser Richtung kommt, um manipulative Angstmacherei handelt. Und man muss erst recht nicht gebildet sein, um das Herz am richtigen Fleck zu tragen. Daher verachte ich jeden einzelnen Menschen, der mit einem dieser Nazi-Vereine sympathisiert – und zwar zutiefst.
Bitte vervollständige: Punk ist …
Was wäre, wenn ich eine gute Frage wäre, wie würde ich lauten?
„Hast du schon gehört, dass Trump und Clinton zurückgetreten sind und stattdessen Bernie Sanders und Ellen DeGeneres ins Rennen geschickt werden?“
Hey super! Vielen Dank für deine interessanten und ehrlichen Antworten, Diana!
Schön, dich hier auf meinem Sekretär verewigt zu wissen.
Das war ganz nach meinem Geschmack!
Danke für die Aufmerksamkeit,
eure
4 Gedanken zu „#9 Montalk mit einer Musikjournalistin“