EINE ANLEITUNG ZUM GEDICHTE SCHREIBEN
Ein Reim
allein
macht noch
lange kein
Gedicht
Reimen ist doch gar nicht schwer. Und dichten? Was ist eigentlich Lyrik und kann etwas pathetisch, aber nicht poetisch sein? Geht Poesie ohne Album, ab wann darf man sich Dichter oder Dichterin nennen und was muss man beim Gedichte schreiben beachten?
Was ist ein Gedicht überhaupt – nicht?
“Jeder weiß, was ein (lyrisches) Gedicht ist; niemand weiß, was ein (lyrisches) Gedicht ist”
(Otto Knörrich)
Im weitesten Sinne ist das Gedicht ein lyrisches Gebilde, das im Verstext geschrieben steht und poetische Sprache besitzt, ganz gleich ob es sich um eine Ballade, einen Limmerick, ein Lehrgedicht oder einen gereimten Festvortrag handelt.
Auch Amy, die Protagonistin aus meinem Buch Tage wie Türkis schreibt gerne Gedichte und das, obwohl sie bis heute noch keine „Anleitung zum Gedichte schreiben“ gelesen hat und auch bisher noch nicht an einem Schreibkurs teilgenommen hat.
Sie verfasst Gedichte und hat Spaß daran. Das solltest du dir auch beibehalten, ganz gleich wohin dich mein Minifernkurs führen wird. Die Freude steht im Vordergrund.
Schauplatz: Lyrik
Die drei literarischen Gattungen werden unterteilt in:
- Epik (trockene, nüchterne Darstellung von Texten, siehe Prosa)
- Lyrik (Formulierung in Versen, Reimen oder in bewusst rhythmischer Sprache)
- Drama (texte mit verteilten Rollen)
Das hast du bestimmt schon mal irgendwo gelesen und da die Mutter der Bildung die Wiederholung ist, will ich dir diese Einprägung auch noch mal in den Kopf zaubern.
Im engeren und humorvollen Sinne: Ein Gedicht ist an seinem lyrischen Ich (auch Du, Wir) an seinem Zeilenbruch (klassisch: linksbündig) und seinen speziellen, sprachlichen Äußerungen zu erkennen.
Poesie, Lyrik, Dichtung
Poetische Sprache ist die Sprache zwischen Bild und Begriff. Der Schlüssel der Poesie ist nicht etwa die Abstraktion oder die Eindeutigkeit, sondern vielmehr die Deutbarkeit. Alles was in einem Gedicht steckt, auch das zwischen den Zeilen, kann, darf und muss gedeutet werden. Ein Dichter ist ein Künstler, der Bilder mit Worten malt und verschiedene Pinsel benutzt. Mal feinere, mal etwas rauere. Poetisch sein, meint zumeist: stimmungsvoll, kunstvoll, eigen oder erhaben. (Der kleine Duden: Poetisch: die Poesie betreffend, dichterisch)
Allerdings sind nicht alle Verstexte auch Gedichte (z.B. Goethes Faust), aber jedes Gedicht ein Verstext. Die kürzeste Gedichtform der Welt ist das Haiku.
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe Gedicht und Lyrik gerne nebeneinander verwendet; denkbare Synonyme sind daher auch Dichtung und Poesie.
Pingelig genommen steht die Lyrik jedoch als Bezeichnung für eine der drei Gattungen in der Literatur. Neben Epik und Drama lässt sich die Lyrik weniger formalen Kriterien unterwerfen, als vielmehr durch die “Unmittelbarkeit des Ausdrucks” charakterisieren. Diesen Begriff hat Theodor W. Adorno für die Musik (Expressionismus) geprägt. Doch auch in der Lyrik findet er seinen berechtigten Platz. Er befreit die Lyrik vor allem von der Konformität des Traditionellen und des klassisch Erstarrten.
Ausnahmen bestätigen aber auch diese Regel, denn ein Gedicht, in seiner allgemeinen Erscheinungsform, das metrisch oder rhythmisch gebundener Versdichtung folgt, kann gleichzeitig auch als episches oder dramatisches Gedicht, also in gebundener Sprache (als Blankvers, z.B. Schillers, Don Carlos) auftreten.
Um die Verwirrung komplett zu machen: “Der Reim ist für die Lyrik kein entscheidendes Merkmal”. Ein Gedicht muss sich also nicht reimen, keine linksbündige Schreibweise mehr verfolgen und sich nicht unbedingt einer gehobenen Sprache bedienen.
Und für mich
Ein Gedicht ist Empfindung. Um ein Gedicht zu lesen und schreiben, bedarf es keiner Profimitgliedschaft im Klassik-Club. Horcht man wirklich und äußerst ehrlich in sich hinein, wird man feststellen, dass die eigenen Emotionen meist verlässliche Begleiter für Interpretationen sind.
Gedichte sind Worte, die sich von dem Alltäglichen abheben. Sie sind in eine hübsche, kompakte Form gepresst (auch nicht immer, siehe Schillers Glocke), die allemal besser verständlich ist, als alle Beipackzettel, Mietverträge und Parteiprogramme dieser Welt.
Schreibimpuls:
Lies über die nächsten vier Wochen hinweg ein Mal pro der Woche (welcher Tag und welche Tageszeit auch immer, das bestimmst du) ein Gedicht deiner Wahl. Du kannst in den Kommentaren gerne erwähnen, auf welche Gedichte deine Wahl gefallen ist. So lernen wir vielleicht das ein oder andere kennen.
Anschließend beginnt du dich auf Forschungsreise. Erkunde, welches die Auffälligkeiten und Unterschiede zur alltäglichen Sprache sind. Mache dir alle möglichen Notizen, auch die kannst du gerne hier teilen, so wird es nachvollziehbarer.
Mögliche Fragen:
Mit welchen Stilmitteln und Wortspielchen wird jongliert? Gibt es Stilblüten? Von welcher Zeit/Epoche/Kultur wird das Gedicht beeinflusst?
Eine sehr hilfreiche Seite mit Übungen dazu, findest du hier.
Ohne Patos: Was ist das für ein Gedicht, was da vor dir liegt?
Tipps
Freunde dich mit Gedichten an. Erfreue dich an der Vielfalt von Lyrik. Das wird bis zur nächsten Teil am 8. März deine wundervolle Aufgabe werden.
Informationen zum Artikel:
Quellen:
Conrady, Karl Otto: Der neue Conrad. Das große deutsche Gedichtbuch, Düsseldorf, Zürich 2000
Enzensberger, Hans Magnus: Einladung zu einem Poesie Automaten, Frankfurt 2000 Knörrich, Otto: Lexikon lyrischer Formen, Stuttgart 1992
Wieke, Thomas: Gedichte schreiben. Gebundene und freie Lyrik schreiben lernen & veröffentlichen, Berlin 2004
Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 2001
Danke für deine Aufmerksamkeit!
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