Kurt

Sarah Kuttner

K U R T. Vier Lettern, die es in sich haben. Angeordnet wie ein Kreuz, starren sie auf blutrotem Untergrund ernst vor sich hin. Obwohl der kleine Kurt aus dem Buch ganz leise, ganz zart stirbt, schreit das Cover nach Schmerz und Trauer. Nach Abschied und Endgültigkeit. Doch es ist eher so wie Kuttner den Tod von Kurt beschreibt: Er kommt ganz heimlich still und leise und gar nicht besonders aufregend und effektaufgeladen daher, wie es uns Hollywoodfilme weis machen wollen. KURT ist mein BuchTipp des Jahres. Irgendwie. Denn irgendwie setzte ich mich, besonders in diesem Jahr, während meiner Schwangerschaft, und die läuft nun schon seit Ende Februar diesen Jahres, intensiv mit dem Thema Tod auseinander. Leben und Tod in einem Körper vereint. Irgendwie.

Klappentext

Von der Suche nach Familie, der Sehnsucht nach dem richtigen Ort und darüber, dass nichts davon planbar ist. »Ich bin mit zwei Kurts zusammen-gezogen. Einem ganzen Kurt und einem Halbtagskurt. Jana und Kurt haben sich entschieden, dass sie ihr Sorgerecht teilen, vor allem wenn Kurt schon extra aufs Land zieht. Und so pendelt das Kind nun wochenweise zwischen seinen beiden Oranienburger Zuhauses hin und her: zwei Häuser, zwei Kinderzimmer, unterschiedliche Regeln und alle Menschen, die er liebt. 
Und dann bin da noch ich.« Lena hat mit ihrem Freund Kurt ein Haus gekauft. Es scheint, als wäre ihre größte Herausforderung, sich an die neuen Familienverhältnisse zu gewöhnen, daran, dass Brandenburg nun Zuhause sein soll. Doch als der kleine Kurt bei einem Sturz stirbt, bleiben drei Erwachsene zurück, die neu lernen müssen, wie man lebt. Sarah Kuttner hat einen Roman über Trauer geschrieben, über die Kraft, die Menschen entwickeln können und darüber, dass es auf manche Fragen keine Antworten gibt. »Kurt« erzählt auf zarte, humorvolle, vor allem aber unaufgeregte Weise davon, wie man sich wiederfindet nach einem schrecklichen Verlust, und wie man für jemanden da sein kann, der untröstlich ist.
Sarah Kuttner erzählt von einer ganz normalen komplizierten Familie, davon, was sie zusammenhält, wenn das Schlimmste passiert. Sie erzählt von dieser Tragödie direkt und leicht und zugleich mit einer tiefen Ernsthaftigkeit, so einfach und kompliziert, wie nur Sarah Kuttner das kann.

Was kommt danach?

Für Viele mag es befremdlich wirken, für andere selbstverständlich: Die Auseinandersetzung mit dem Tod. Der Tod gehört zum Leben, hört man die Leute sagen. Er ist das bestrebenswerte und zugleich respekteinflößendste Ziel des Lebens. „Jeder muss irgendwann sterben„, sagen sie. Und die Betonung liegt hierbei auf „irgendwann“.

Aber wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt? Sein Zeitpunkt, sein Auftritt und wann kommt der Tod dann doch irgendwie ungelegen? Oder ist es eher die Angst vor dem Sterben, vor dem WIE oder die Furcht vor dem, was danach kommt? Vor dem Nichts. Vor dem WAS, vor dem: Und jetzt? Wie soll ‚es‘ weitergehen, das Leben, wenn das Sterben irgendwie dazu gehört, aber gänzlich im falschen Moment und ’sterben die besten wirklich jung‘?

Sarah Kuttner geht in ihrem vierten Buch auf das ein, was danach kommt. Hier auf Erden. Wenn der Verlust so weh tut, dass man als Bisher-Familie nicht mehr weiter machen kann. Was tun, wenn ein Familienmitglied, ein sehr junges, das eigene Kind, in ihrem Fall, der Sohn des eigenen Mannes, des großen Kurts, stirbt, wegen dem man in ein größeres Haus, raus aus der Stadt, aufs Land nach Brandenburg gezogen ist? Wie geht es weiter? Wie geht man weiter, wenn jeder Schritt schwer fällt, alles falsch zu sein scheint und das „Weiterleben“, das sich manchmal doch eher nach „Weitermachen“, nach Funktionieren anfühlt, doch irgendwie „sein muss“. Sagen sie …

Schwangerschaft und Tod

Seit meiner Schwangerschaft, und die läuft immerhin seit dem 29. Februar diesen Jahres, setze ich mich intensiv mit dem Tod auseinander. Auch das, ist vielleicht nicht das Thema, das eine schwangere Frau als erstes begleiten und interessieren sollte. Doch ich frage: Warum eigentlich nicht? Ich trage ein (hoffentlich hoffentlich hoffentlich) gesundes neues Leben, respektive Wunder, in mir und werde gleichzeitig Gesprächen mit Freunden, mit Mamas und werdenden Müttern und bis heute nicht gewordenen Mamas mit dem Thema Fehlgeburt konfrontiert. Mir begegnen Krieg, Pandemie, Tod und Schicksale im eigenen Umkreis, im TV, in der Realität , so dass ich noch einmal fragen muss: Warum gehört das Thema Tod nicht selbstverständlich zum Mutterpass dazu?

Sarah Kuttner
Foto: Katharina Hintze

Außerdem habe ich ein sehr persönliches Gedicht geschrieben, in dem sich mein lyrisches Ich sein Baby verliert. Und dieses lyrische Ich – bin ich. Wie fühlt es sich an, wenn ich mein Baby verliere? Thriller kann und muss ich mir gerade nicht ansehen. Es war nur noch ein logischer Schritt, dass ich in diesem Zusammenhang auf Sarah Kuttners KURT gestoßen bin.

Wie ich zu Kurt kam

Ich habe einen Gedichtband zum Thema „Sterben“ gelesen, habe mir das Buch „Emily und der Engelsrufer“ aus dem Schweizer Verlagshaus KaleaBooks besorgt und es an Freunde verschenkt, die das Buch hoffentlich gut gebrauchen konnten und ich arbeite selbst an einem Jugendbuch, in dem es um eine Freundschaft über den Tod hinaus und die Frage gehen soll: „Wie würde ich mich verhalten, wenn ich an meiner eigenen Beerdigung als Zuschauer:in teilnehmen könnte?“ In meiner Kindergartengeschichte MAX MACHT MUT, die ich bereits im Jahre 2014 anfing zu schreiben, aber nie zu Ende gebracht habe, möchte ich mit Hilfe der Geschichte mit Kindern über den Friedhof und das Sterben sprechen. Sie ist mir nicht zufällig in diesem Jahr wieder in die Hände gefallen.

Kurt ist unaufgeregt, aber so unfassbar echt und nah und bitter

KURT erzählt eine Geschichte über Trauer, Verlust und Abschied. Wir alle haben schon einmal „Lebewohl“. Mussten jemanden und etwas verabschieden. Mensch wie Situation. Und mit KURT, da leiden wir mit. Mit vermeintlich fremden Buchcharakteren, die uns so an Herz gehen, dass es schmerzt. Ein intensives und tiefes Leseerlebnis. Ein Buch, das zum ganz tiefen Mitfühlen einlädt. Ganz unaufgeregt und dabei so aufwühlend. Ohne Kitsch und Schnickaschnack. Das rohe Gefühl, das, was man fühlt, wenn man fühlt. Ich empfand das Buch als sehr heilsam und erdend, eine Story, die mir einen Kloß in den Halse setzte, aber auch ein Buch, das mich nicht mehr losließ. Bis jetzt nicht.

Die Charakters in der Geschichte handeln nachvollziehbar unnachvollziehbar, sind zerrissen und trauern auf ihre eigene Weise. Sehr realitätsnah, was das Buch meiner Meinung nach auch so ehrlich und empfehlenswert macht.

Was „darf“ ich in der Trauer?

Die Trauer um den Verlust des eigenen Kindes und die Frage, wie sehr Lena in ihrer eigenen Trauer versinken darf und trotzdem für ihren Freund da sein muss, ziehen sich durch die ganze Erzählung und lassen den Leser unglaublich mitleiden. Mich nahm vor allem diese schwelende Trauer um den Verlust des eigenen Kindes mit, das immer wieder auch die Frage bei mir aufwarf: Wie würde ich, wie würden wir als Familie, damit umgehen?

In KURT ist an meiner Stelle die Protagonistin Lena, die mit der Aufgabe konfrontiert wird, wie sehr sie sich ihrer eigenen Trauer hingeben darf ohne zu sehr zu versinken, da sie ja trotzdem (an erster Stelle?!) für ihren Freund da sein muss, der der Vater des verstorbenen Kindes ist. Dieses Gefühl, verbunden mit der Kindesmutter, die ihrem Exfreund, nachvollziehbarerweise, wieder „verdächtig“ nahe kommt, fließt durch den ganzen Roman und ließen mich als Leserin unglaublich mitgehen.

Kurt als Geburtstagsgeschenk für meine Vierjährige

Seit der Geburt von meiner Großen schenke ich ihr jedes Jahr ein Buch zum Geburtstag, das mich in ihrem Geburtstagsjahr geprägt hat. Ein Buch, von dem ich mir wünsche, das sie es auch einmal liest. Irgendwann. Ich lese Bücher und entscheide, welches Buch ich zu ihrem Geburtstag als Geschenk verpacke. Für später einmal. Außerdem versuche ich, das von mir auserwähle Buch von dem/der Schriftsteller:in für die Räubertochter widmen und signieren zu lassen. Ich werde ihr alle Bücher zum 16. Geburtstag schenken. Sie kann dann selbst entscheiden, mit welchem, von ihrem Geburtstags-SuB sie starten möchte. Aber sie wird erfahren, dass im Jahr 2020, im Pandemie-Jahr, im Jahr, in dem ich ihren kleinen Bruder Felix im Bauch trug, viele Gedanken um den Tod kreisten.

In diesem Jahr gab es eine besondere Widmung von Sarah Kuttner und ich freue mich besonders darüber und kann mich den Worten der Schriftstellerin nur anschließen.

KURT – Es ist ein Buch, das mich berührt, bewahrt, bewegt und beruhigt hat. Ich weiß noch nicht recht, wohin meine Gefühlsreis genau geht, aber es war bereits im Juni als ich es ausgelesen hatte, mein Buch des Jahres 2020! KURT schafft es, vielleicht auch gerade wegen der leichten, manchmal eher schnodderigen, umgangssprachlichen Erzählweise, eine besondere Intensität herzustellen, die mich an das Buch fesselte und darüber hinaus beeinflusste.

Was würdest du tun, wenn du nur noch einen Tag zu leben hättest?

Danke fürs Lesen und deine Aufmerksamkeit.

Deine

unterschriften-schriftarten

Ein Gedanke zu „Kurt

Verfasse doch gerne einen Kommentar. Es gilt die Datenschutzerklärung.