Wie ich Deutschsein neu definiere
Ali Can
Nach „Hotline für besorgte Bürger“ ist es das zweite Buch von Ali Can, das ich bereits im letzten Jahr von ihm gelesen habe. In diesem, sehr persönlichen Buch, geht er nochmal in die Tiefe und der Frage auf den Grund, was „Deutschsein“ im 21. Jahrhundert überhaupt bedeutet, besonders mit dem Zusatz, dass die Identitätsfrage nicht für jede:n klar definiert ist. Was erleben Menschen mit Migrationshintergrund während eines Asylverfahrens warum werden selbst „Deutsche“ mit ausländischen Wurzeln besonders gerne an Disco- und Clubtüren mit der Herkunftsfrage konfrontiert? Es ist ein höchst persönliches, politisches, aber auch pragmatisches Buch darüber, wie wir als Gesellschaft im Kleinen wie im Großen besser zusammen leben können, wollen und funktioniert Integration, wenn es keine Sprachkurse geben würde?
Klappentext
„Mit diesem Buch stößt Ali Can eine Debatte an, die dieses Land mehr denn je braucht. Und die eine Grundvoraussetzung für eine offene Gesellschaft ist. Ein wahres Friedensbuch, voller Inspiration.“ Luisa Neubauer
Was bedeutet es, deutsch zu sein? Die Zeit für eine Neudefinition ist reif, meint Ali Can, dessen Twitterkampagne #MeTwo im Sommer 2018 ein enormes Echo auslöste. Zehntausende Menschen mit Migrationshintergrund berichten seither unter dem Hashtag von ihren alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus. Ständig wird ihnen vermittelt, sie seien nicht wirklich Deutsche und gehörten somit nicht dazu. Dabei betrachten sie Deutschland als ihre Heimat – und das so selbstverständlich, wie sie sich oft noch einer anderen Sprache und Kultur verbunden fühlen.
In seinem Buch beschreibt Ali Can den Hashtag und seine Folgen als Teil einer dringend gebotenen gesellschaftlichen Debatte. Indem er auf seine eigene Biographie blickt und eine Reihe bekannter Gesprächspartner befragt, kommt er zu dem Schluss: Heimat – das sind letztlich die Werte, die wir teilen. Und an einem offenen, konstruktiven Dialog über sie sollten alle teilnehmen können, die in diesem Land leben und seine Gesellschaft mitgestalten – ob mit oder ohne Migrationshintergrund.
„Dieses Buch ist ein starkes Plädoyer für einen Heimatbegriff, der sich nicht an Hautfarben oder Stammbäumen orientiert, sondern an den Werten unseres Grundgesetzes.“ Cem Özdemir
Ein Geschenk meines Märchenprinzen auf der Frankfurter Buchmesse 2019
Ich weiß nicht recht, wo ich bei diesem BuchTipp beginnen soll. Ich muss direkt zu Anfang sagen, dass ich Ali-Fan bin. Als ich ihn damals, als wir noch in Amerika lebten, zum ersten Mal bei Maischberger in der ARD Mediathek sah und ihm zuhörte, wart es um mich geschehen. ich war inspiriert und fasziniert von dem eloquenten, sehr sympathischen jungen Mann mit türkischen Wurzeln. Irgendwie schien er „es“ verstanden zu haben, die Sache mit der Kommunikation, dem Zuhören. Vor allem im Bezug auf die „besorgten Bürger“ unseres Landes. Als „Asylbewerber des Vertrauens“ hat er sich mit seinem „Prinzip des Zuhörers“ in mein Herz katapultiert und da hockt er nun seit 2016 und hat mich so sehr beschäftigt, als Mensch und als Sozialaktivist, dass ich ein Märchen geschrieben habe, in dem er mein Märchenprinz geworden ist. DAS MÄRCHEN VOM MODERNEN FRIEDEN ist ihm gewidmet.
Nun kam es soweit, dass wir im letzten Jahr, 2019, auf der Buchmesse in Frankfurt die Gelegenheit bekamen uns persönlich nach einer seiner Lesungen beim Duden Verlag kennen zu lernen. Wir aßen gemeinsam Kuchen, den er mit gebracht hatte, rauchten ein paar Zigaretten (damals rauchte ich noch) und unterhielten uns. Er schenkte mir daraufhin sein, und ich zu diesem Zeitpunkt mein Buch TAGE WIE TÜRKIS, was eine Geschenk für eine seiner drei Schwestern werden sollte.
Ich schätze seine Geduld, seine Persönlichkeit, seine Sicht auf die Dinge und seine Weltanschauung und bin mehr als froh, sein Buch als Geschenk erhalten zu haben. Es war übrigens mein Buchgeschenk an meine Tochter zum 3. Geburtstag. Was es damit auf sich hat, könnt ihr gerne hier nachlesen. Es ist eines dieser Bücher, von denen ich mir nicht nur wünsche, dass es Ronja eines Tages lesen soll, sondern eines, das ebenso den Einzug in deutsche Schulen für den Unterricht findet (vor kurzem passiert, siehe weiter unten). Ein Buch, das mit seinem freundlichen und vermittelnden Ansatz ebenso genau Wind von rechts und links bekommen hat, wie ich euch sicher vorstellen könnt.
#MeTwo
Wer die #MeTwo-Kampagne 2018 mitbekommen hat, der wird ganz selbstverständlich an Ali denken müssen, weil er derjenige ist, der die Debatte angestoßen hat. In seinem Buch lässt er die Anfänge nochmal Revue passieren. Die damit verbundenen Schicksale, Menschen mit Migrationshintergund, die durch #metwo („Ich zwei“) plötzlich eine Stimme in den sozialen Medien im Bezug auf ihre Identität bekamen und davon berichten konnten, wie sehr sie von Alltagsrassismen und Schikanen in ihrem (deutschen) Alltag, sowohl auf der Straße als auch bei der Wohnungs- und Arbeitssuche geplagt waren, wurden öffentlich und erhielten Gesicht und Namen. Auch nach dem Tod von George Floyd, ist die Aufmerksamkeit auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch einmal aufgekocht. Es brodelt, was immer schon da gewesen ist.
„Warum das Konzept Integration ausgedient hat“
Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass Sprachkurse und damit die Sprache per se für eine erfolgreiche Integration verantwortlich sind. Es geht viel mehr darum, Räume für Gemeinsamkeiten zu schaffen. Das ist es, worauf es ankommt. Damit kann Integration funktionieren!
„Wir müssen nicht die Welt umkrempeln, um Menschen zu integrieren. Es würde oft schon reichen, wenn wir unsere freie Zeit für gemeinsame Unterhaltungen und Unternehmungen nutzten: Tischtennis spielen oder einen Spieleabend organisieren, sich zum Frühstücken oder Brunchen verabreden, zusammen basteln oder gärtnern, eine Grillparty veranstalten und jeder steuert etwas zum Buffet bei, im Wald wandern, ins Theater gehen, ein Konzert besuchen oder gleich selbst Musik machen, sich auf einen Tee treffen und über Gott und die diskutieren.“
aus: Mehr als eine Heimat, S. 99
Das VielRespektZentrum in Essen
Genau so einen Raum hat Ali Can mit seinem Partner Reinhard Wiesemann in Essen geschaffen. Auch die Idee davon faszinierte mich im letzten Jahr so sehr, dass ich Teil dieses öffentlichen Raumes werden wollte.
Ich wollte dieses großartige Projekt, das aus dem „Unperfekthaus“ ebenfalls in Essen gelegen, hervorgeht, mit meinen mir zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Was kann ich also am besten? Geschichten erzählen und aufschreiben, also lag es nahe, Ali meinen Märchenprinz sein zu lassen und ihm eine Geschichte zu widmen. Außerdem habe ich von jedem verkauften Exemplar meines „Das Märchen vom modernen Frieden“ von Veröffentlichung (10. Oktober 2019) bis jetzt (20. Oktober 2020) 1 Euro gesammelt und weggelegt. Zusammengekommen sind bisher genau 90 Euro. Eine schöne Summe bisher. Außerdem habe ich noch 10 Märchen übrig, die ich gerne an euch versenden würde, besonders, weil wir dann die 100 Euro vollmachen könnten. Die Summe werde ich bis Ende Oktober an das VielRespektZentrum in Essen gespendet haben.
Ist Ali der „Mustertürke“?
Thilo Sarrazin soll Ali über einen Kumpel ausrichten gelassen haben, dass er der Vorbildtürke ist. Ich finde, das genau solche Äußerungen dazu führen, dass wir diese Trennung von kulturellen Unterschieden auf diese Weise weiterhin befeuern. Fangen wir stattdessen endlich an, unsere Gemeinsamkeiten zu (er)leben und nicht nach den Unterschieden zu suchen.
Umso stolzer bin ich als Ali-Fangirl, dass es sein Buch ebenso von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde. Es ist über den Shop von Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu bestellen. Nicht nur für euch selbst, sondern auch für Arbeit, Schule, Verein, Behörde… Für 4,50 €.
„Überlegt mal, meine Mutter ist nie zur Schule gegangen, jetzt wird ihre Geschichte (1 Kapitel) vom deutschen Staat veröffentlicht. Ich musste für 2 Wochen die Schule schwänzen, weil wir abgeschoben werden sollten – jetzt bestellen das Buch auch Schulen und Bildungsinstitutionen und lesen diese Geschichte. Und es geht um viel mehr, zum Beispiel wie du dich gegen Rassismus engagieren kannst, (…) wieso Mehrsprachigkeit völlig in Ordnung ist, wieso heute nur plurale Identitäten Sinn machen. (…)“
Ali schreibt, dass die abstrakten Begriffe wie „Deutschsein“ und „Integration“ uns oftmals vergessen lassen, dass es letztlich nur um eines ginge: um das Zusammenleben. Alle geteilten Erfahrungen und Erlebnissen schaffen einen Raum von Zugehörigkeit und Gemeinschaft und das ist es doch, worauf es ankommt.
Was ist für dich „typisch deutsch“?
Danke fürs Lesen und deine Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf deinen Kommentar.
Deine