Janosch – das sind seit dem 11. März 2016, genau vor einer Woche, ein bisschen mehr als 85 Jahre geballtes Leben. Ein Glück für ihn, gar als Herr Janosch überlebt zu haben und als einer der bekanntesten und beliebtesten Kinderbuchautoren gefeiert zu werden. Und dass, obwohl er »der wohl meist unterschätzteste Autor Deutschlands ist«, wie Francois Bondy schon vor mehr als 30 Jahren feststellte.
Janosch, der eigentlich gar nicht Janosch heißt und seinen Geburtsnamen mindestens genauso sehr hasst, wie die Nazis, der ermüdet auch schnell darüber, sich einer langen Rede dessen zu stellen, wie es dazu gekommen ist. Fast genauso schnell, wie sich den immer gleichen und mühsamen Fragen der »Journaille«, wie er verallgemeinernd scherzend mit Astrid Lindgren nach seinem Treffen am 31.10.1993, in seinem autobiographischen Selbstinterview »Leben und & Kunst« festsetzte.
In diesem Werk wird Janosch von seinem Alter Ego, dem Journalist Skral, in die Mangel genommen. Vor sich selbst nimmt er kein Blatt vor den Mund und berichtet von einer grausamen Kindheit im heutigen Polen (Schlesien, Hindenburg) mitten in Armut, umgeben von Prügel und fremd bestimmt von einem gnadenlosen katholischen »Gott, dem Janosch den ganzen Murks beim Weltenplan persönlich übelnimmt«.
Weiber zum Weinen bringen
Janosch, ein Held meiner Kindheit. Wie so viele andere, sind meine Eltern wie auch ich auf seinen Durchbruch »Oh, wie schön ist Panama: Die Geschichte, wie der kleine Tiger und der kleine Bär nach Panama reisen« reingefallen. Das war 1978. Sicher. Da habe ich noch nicht gelebt. War nicht einmal geplant. Und hätte sich Janoschs‘ Wunsch bewahrheitet,
dann hätte man auch meine Eltern schon lange vorher abgeschafft, bevor sie überhaupt zu welchen, den meinen, wurden, um nicht Gefahr zu laufen, alles falsch zu machen.
Nach vielen Versuchen vor allem als Maler zu landen, gab Janosch sich schließlich dem Trotz hin. Als gescheiterter Frauenheld hatte er die Schnauze voll vom Kinderbücher machen und machte sich stehenden Fußes aus dem Staub nach Ibiza.
Wie er selbst gesteht nur aus zwei Gründen: Um ein Kitschbuch zu machen und um die Weiber zum Weinen zu bringen. (Keine schwere Aufgabe, wenn man sich nur an ein paar Regeln der Kinderbuchkunst hält: Mindestens zwei Freunde, einer davon Kuschelbär, erleben zusammen ein Abenteuer.) Dort trank er zwei Cuba Libre und stand schließlich vor der Frage, wozu die Menschen reisen. Die Antwort, das Heimweh, trieb ihn zurück in sein Dorf und ihm gelang der Durchbruch. Und die Weiber haben geweint.Der Rest dürfte bekannt sein.
Tiger und Bär machen sich auf den Weg, das Land der Sehnsucht zu finden. Die Kiste, auf der Panama steht, gilt dabei als Initialfunke zum Aufbruch. Als sie zurückkehren, merken sie gar nicht, dass sie eigentlich wieder Zuhause ankommen.
»In einem schönen Irrtum lebt man besser als in einer unschönen Wahrheit«, sagt Janosch.
Ich bin mir sicher, dass jeder irgendwann mal losziehen muss, um seine Seele zu finden.
Die anarchische Erzählung von Freundschaft und Abenteuer mit dem überlebenswichtigen Motto »mit Freunden brauchst du dich vor nichts zu fürchten« jedenfalls, verkaufte sich zu genüge. Ein Buch davon, an mich.
Kindheit ist Heimat
Heimat ist kein Ort. Zuhause ist ein Geruch. Nach Kohlendreck. Urin. Und Kraut. Für Janosch. Für wäre es dann Salzteig. Graphitspuren auf den Fingern und ein eingeschneiter Teufelsberg. Kranz mit Nikoläuschen. Janoschs Traumstunde, Emil, Pippi und Bullerbü. Siebenstein, Bibi und Benjamin. Der Kletterbaum. Schließlich meine Schreibmaschine.
Ich glaube, Heimat ist für mich Kindheit. Das war, neben meiner Schwester, das beste in meinem Leben.
»Aber wenn man sich das alles richtig überlegt, hat das Überlegen keinen Zweck.«
Wie ironisch ist es, halte man es sich vor Augen, dass Janosch seine eigene Kindheit lassen musste, um die, vieler anderer Kinder zu verändern und zu prägen.
Wenn das Zuhause die Äste sind, dann ist Heimat wohl so etwas wie die Wurzel. Haben die Wurzeln qualvoll gelitten, naja … man kann sich vorstellen, worauf ich hinaus will.
Und doch »soll alles doch so sein wie es sein wird.«
Hätte ich dieses Zitat schon früher gelesen, ich hätte es sicher nicht so gut nachvollziehen können wie ich es heute tue. Ich glaube, ich hätte es überhaupt nicht verstanden. Weil ich mich nicht gut genug gekannt, geschweige denn verstanden habe.
Und nicht den Kosmos. Ich verstehe ihn immer noch nicht. Nicht so genau zumindest. Bin einer Erklärung aber schon weitaus näher als jemals zuvor.
Es ist Magie, was und wie es geschieht und alles andere ist Bullshit. Sagt Janosch. So in etwa. »Man soll sich mit den Gegebenheiten des Lebens nicht anlegen. Sie werden am Ende immer gewinnen, indem sie so bleiben« und »wer eine Blume begreift, begreift den Kosmos und braucht sich keine Blume im Zimmer zu züchten. Ohnehin zu viel Zwang. Schon Blumen gießen zu MÜSSEN wäre mir zu viel Zwang.«
Ich kann es heute mit so viel Zuversicht teilen, dass es fast schon schmerzt und ich am liebsten zwei Gläser Wein, verstehen Sie mich nicht falsch, guten Wein verdrießlich genießen will – »aber nur bis die Schmetterlinge wieder tanzen. Und keinen Moment länger.«
Held des Erwachsenseins
Janosch war, neben Astrid Lindgren, der Traumtänzerin mit anarchistischen Zügen und Erich Kästner, dem Querulanten im Muttersöhnchenpelz, ein echtes Erlebnis meines Erwachsenwerdens und einer, meines Großseins. Schöpfer meiner Kindheitshelden. Bewahrer meines inneren Kindes. Und doch weiß ich nicht einmal, ob ich schon erwachsen bin, bloß weil mein Alter es sagt. »Alter schützt vor nichts«, sagte neulich eine Freundin zu mir, die meine Mutter sein könnte und doch ist es vollkommen egal.
»Alter ist so viel wert wie die Jugend. Man muss nur etwas draus machen.«
(Elke Heidenreich)
Der Mensch kann sich nicht verstecken. Ich habe es nun gemerkt. Ich meine, ich bin nicht das Gedicht, aber ganz sicher bin ich der Moment, »in dem ich wach genug war, ihn in Worte zu fassen.« Und dass, bei jedem einzelnen. Aber: In jedem Text, in jedem Gedicht steckt die eigene Biographie. Wer das leugnet, ist ein Lügner. Ich bin nun froh, dass es raus ist. Nichts ist befreiender als der Zustand der Selbsterkenntnis.
Danke Janosch,
und den vielen weiteren,
die an diesem Dichtblick mitgearbeitet haben.
Janosch ist für mich was man Held meines Erwachsenseins nennt. Das, was als geheimes Vorbild im Herzen eines Kindes groß wird, was man in sich trägt ohne richtig zu verstehen warum. Bis es dann einen elektrischen Knall tut – irgendwann, wenn man denkt, groß geworden zu sein. Und dann blickt man zurück und versteht die Welt nicht mehr. Oder besser. Oder beides. Und man weiß, nichts von alledem ist wahr. Weil man die Wahrheit nicht kennt. Es wäre zynisch zu behaupten, das wäre anders.
Ich bin zutiefst beeindruckt von diesem Mann, (weil mich seine Person zu Tränen erfreut, während ich über ihn schreibe und ich stelle mir vor, wie ich meinen Opa nochmal umarme , um mir kurz darauf »Den Quasselkasper aus Wasserburg« vorlesen zu lassen), aber kann es nicht ohne die heimlichen Klammern schreiben, die die Wahrheit ein wenig zurückhalten sollen, weil ich es nicht auszusprechen vermag, aus Angst, er könnte es einmal lesen.
Aber da bleibt mir die Hoffnung, dass er da in seinem Hippiehaus auf Teneriffa, während er in die prachtvollen Dürre des Augenblicks hinausstarrt und sich seiner Lieblingsbeschäftigung dem Atmen hingibt, keinerlei Gelüste als auf gutes Essen und roten Wein verspürt und keinerlei Zugang zu irgendeinem Komputergerät hat. Und sich um himmelswillen nicht von all den ausfragenden Menschen, die ihn besichtigen wollen, ausfragen lässt und dabei insgeheim hofft, niemals wieder geboren werden zu müssen.
Empfehlung: Dieser Film folgt mit Janosch gemeinsam den Spuren seiner Erinnerung, weit weg und weit zurück. Vieles, was er in seiner Kindheit erlebt hat, findet sich in Janoschs Werk: seinen Bildern, seinen Romanen und auch in seinen Kinderbüchern. (ARD Mediathek, dieser Film ist nur bis zum 6.4.2015 verfügbar, danach werde ich diese Empfehlung von meinem Sekretär nehmen)
Vielen Dank fürs Lesen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Herzlichst
Ein Gedanke zu „Nur bis die Schmetterlinge tanzen“