Klassik am Sonntag: Kurt Tucholsky (1890 – 1935)

Hände an der Schreibmaschine

[114] Meine Schrift kann niemand lesen,
nicht mal ich. Nur noch Chinesen
pinseln wichtig.
Ich will kein solch Pinseler bleiben.
Mit acht Fingern laßt mich schreiben!
Aber richtig!
Hebel rauscht, und Glöckchen klingt,
und die Schreibmaschine singt:[114]

Firma Anton Eiermann
sel. Nachfolger
Würzburg an der Würze

Berlin NW 87, den heutigen

Sehr geehrter Herr!

Auf Ihr gefl. wenn auch ausverschämtes Schreiben vom 16. d. M. erlauben wir uns, Ihnen mitzuteilen, daß von einer unpünktlichen Zahlung unsrerseits überhaupt keine Rede sein kann.
Sie haben uns bisher erst 9mal (in vier Wochen) gemahnt, und kann das in Anbetracht der allgemeinen Geldknappheit nur als völlig
normal

Übung kommt so mit den Jahren.
Und ich schalte wie beim Fahren
dritten Gang ein.
Hoppla, Kurve! Achtung, Liebe!
Und ich schalte wie beim Fahren
jeden Klang ein.
Hebel rauscht, und Glöckchen zirpt,
und die Schreibmaschine wirbt:

Dir nur sagen, daß ich Dich so leidenschaftlich liebe, daß es schon allen meinen Bekannten auffällt, wie schlecht ich aussehe. Ich habe im letzten Monat 8 (acht) Pfund abgenommen, und das alles auf Dich herauf. Mein kleines Mäuseschwänzchen, wenn Du es irgend einrichten kannst, dann komm doch Sonnabend schon ein bißchen früher, aber zieh Dir nicht die Schlüpfer an, weil ich Dir etwas Wichtiges

Tausend Finger laufen eilig
amtlich, dienstlich, polizeilich
auf den Tasten.
Aufgebote für die Heirat,
das Gesuch beim Polizeirat,
Steuerlasten.
Hebel schnattern, Walze steht,
und die Schreibmaschine fleht:[115]

An den Herrn
Regierungspräsidenten

Magdeburg

In Erneuerung meines Gesuchs vom 5. 4. 23 erlaube ich mir ergebenst auf beregte Angelegenheit zurückzukommen und um eine Namensänderung nochmals dringendst zu bitten. Die Tatsache, daß ich Schlotterhose heiße, hat mir bereits im geschäftlichen sowie auch im privaten Leben außerordentlich geschadet, und bitte ich, mir wenigstens durch einen Gnadenakt das

L

zu erlassen, wovon ich mir eine wesentliche

Besserung

Unser Leben, eingefangen,
ist durch dich hindurchgegangen,
Guillotine!
Unsere Freuden, unsere Sorgen,
gestern, heute, übermorgen –
o Maschine!

Hebel wirbeln, Wagen knackt,
und die Schreibmaschine tackt:

Sie dämliches Luder nur davor warnen, sich noch einmal im Geschäft so mausig zu machen. Wo doch Ihre Tochter Lottchen in der ganzen Straße bekannt ist als Rumtreibersche und auch Ihre Frau abends immer sehr spät und nicht immer allein nach Hause komt wenn Sie mal auf Geschäftstuhr sind Dass Ihr Sauberer Herr Sohn ein Verfahren wegen der kleinen Wechselsache bei seiner Firma auf dem Hals hat, wird er Ihnen wohl nicht gesagt haben aber ich sage es Ihnen Sie Ochsenpantoffel!

Ein Freund des Hauses!

Alles weißt du, Maschine, immer stehst du startbereit!
In dir ist unser Beruf, unser Leben und unsre ganze Zeit.
Sogar auf Reisen kommst du mit, praktisch und gut verpackt,
bis eines Tages zum letzten Male dein Hebel knackt.

Millionen Konzerte steigen täglich auf aus Stahl und Papier.
Was wären wir ohne dich, du Geschäftsklavier –!

[116] · Theobald Tiger
Uhu, 01.05.1928, Nr. 8, S. 40, wieder in: Lerne Lachen.

Kurt Tucholsky
(* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er schrieb auch unter den Pseudonymen Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel.)

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 114-117.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20005814782
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Kategorien:
Deutsche Literatur

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