Ich stecke zurzeit knietief in der Bearbeitung meiner philosophischen Novelle „Tage wie Türkis“. Da es mich einige Kraft kostet und extrem viel Zeit in Anspruch nimmt und ich etwas Abstand zu meinem Text brauche, habe ich dir zwölf Erkenntnisse meiner Bearbeitungsphase zusammengetragen, die du sicherlich auch auf Bereiche deines Lebens anwenden kannst, die nichts mit dem Schreiben zu tun haben.
1) Bewahre das Gefühl
Du hast den ersten Entwurfs deines Romans, deiner Kurzgeschichte, deines Gedichts, fertig gestellt! Die erste Fassung steht! Darüber darfst du dich ausgelassen freuen! Gefühl genießen!
2) Gewinne Abstand und bewege dich
Nicht nur Pausen sind extrem wichtig, um zwischendurch aufatmen zu können. Auch der räumliche Abstand über einen längeren Zeitraum hinweg, kann Wunder bewirken. Von ein paar Stunden bis hin bis zu einigen Wochen, die du abwartest, ist alles möglich. Es kann dir dabei helfen, die Gefühlsschwankungen, die du zum Text entwickelst in den Griff zu bekommen. Es ist nicht alles Mist, was du geschrieben hast!
3) Beginne Sachte
Beginne damit, einfach definierte Kriterien zu bearbeiten. Bessere erst einmal Tippfehler aus, überprüfe Rechtschreibung und Grammatik. Schachtelsätze können oftmals aufgebrochen werden, damit erleichterst du es auch deinen Lesern. Stilistische Verbesserungen, z. B. abgedroschene Ausdrücke, Phrasen und Vergleiche können ausgetauscht und Substanzivierungen (Wörter auf -ung) umgangen werden.
4) Triff Entscheidungen
Es geht immer ums Loslassen. Gehe Zeile für Zeile durch, lies deinen Text laut und frage dich, ob es dich anmacht, was du liest. Wenn nicht, befreie dich von Textstellen, bei denen du ein komisches Bauchgefühl hast oder tausche sie gegen andere Formulierungen aus. Hänge keiner Zeile hinterher!
5) Dokumentiere dynamisch
Lege dir eine „Löschliste“ an, für alle Fälle. Wenn es doch mal zuviel gebrannt hat und du das Gefühl hast, etwas zu voreilig eliminiert zu haben, kannst du spielend auf deine vorherigen Formulieren zurückgreifen.
6) Kommuniziere bedeutend
Bleibe mit deinen Testlesern in Kontakt. Besprich Textpassagen, bei denen du dir unsicher bist mit Freunden, deinem Partner, Schreibkollegen oder Familienangehörigen. Es hilft ungemein, sich über sein Geschriebenes und Erdachtes auszutauschen und über Konflikte zu sprechen. Auf diese Weise verrennst du dich nicht so leicht und vermeidest Logikfehler.
7) Trinke genügend und iss reichlich
Das gilt nicht nur beim Bearbeiten eines Textes, sondern generell für dein Leben. Flüssigkeit und geregelte Mahlzeiten halten dich in Schwung und verleihen dir die Energie, die es braucht um zu funktionieren. (Dreißig Milliliter Wasser pro Kilo ist übrigens angesehener Maßstab. Bei mir wären das zwei Liter am Tag, und bei dir?)
8) Optimiere Textpassagen
Du bist der Urheber deines Textes. Also kannst du mit ihm machen, was du möchtest. Nutze die Gelegenheit, so lange du es noch kannst und du das Manuskript noch nicht aus den Händen gibst. Im Laufe der Jahre ist eine Liste mit „schönen Worten“ zusammengekommen, mit Ausdrücken, dir mir gefallen, Substantiven, die ich als sexy erachte und die nicht unbedingt zu meinem aktiven Wort- oder Schreibschatz gehören. In einem Bearbeitungsschritt nehme ich mir genau dieses Wortregister zur Hilfe und schaue, ob ich etwaige Begriffe benutzen und austauschen kann.
9) Modelliere deine Figuren
Du bist der Erbauer deiner Figuren. Versieh sie mit Tiefe und forme sie zu deinen Wünschen. In diesem Fall, gleiche ich meine Figuren aus dem Manuskript mit den Eigenschaften in meinen Chrakterbögen ab und versuche sie an manchen Stellen nicht mehr flach erscheinen zu lassen. Ich verleihe ihnen mehr 3-Dimensionalität und vervollständige Beschreibungen, dort wo nötig.
10) Sei gnädig
Du bist sicherlich dein härtester Kritiker. Sei gut zu dir, lobe dich hin und wieder, sieh auch mal, was du bereits geschafft und richtig gemacht hast. Gehe nicht nur vernichtend mit dir ins Gericht. Du willst einen ansprechenden Text abliefern, dann kneif die Arschbacken zusammen und tu, aber lass deinen Angstzweifler in dir nicht gewinnen.
11) Schluss jetzt!
Du musst einen Schluss finden! Irgendwann solltest du deinen Text loslassen. Es hilft dir nicht, sich das Manuskript nach dem fünfundzwanzigsten Mal noch eine weitere Runde vorzuknöpfen und durch die Mangel zu drehen, alles abzuändern, was du aus Gründen aufs Papier gebracht hast. Man kann einen Text auch totbearbeiten, indem man ihm sämtliches „Vorleben“ nimmt.
12) Feiere dich selbst und das Leben
Geschafft! Computerdateien schließen, Papierstapel ansehen, Sektflasche öffnen, mit Freunden anstoßen. Gut gemacht! Ich bin stolz auf dich und mich.