Blogparade. Clue Writer. 1692 Worte. Genre: Romantik & Lieeeebe.

Das Geheimnis der Hundesitterin

Beitrag zur Blogparade der Clue Writer

Für diesen besonderen Tag fiel ihre Wahl auf das blumigste Kleid in ihrem Schrank und dazu kombinierte sie ihre viel zu unbequemen Ballerinas. Sie hatte ihre Wimpern tiefschwarz getuscht und ihre Lippen mit einem zartrosa betont. Ihre Wangen glänzten pfirsichfarben und ihre hellen Beine schmiegten sich ins warme Sonnenlicht.

Dinah musste scharf überlegen, wann sie sich zum letzten Mal zurecht gemacht hatte. Außer man rechnete das Schlüpfen in einen Joggingstrampler dazu. In den vergangenen Monaten hatte sie ihre eigene Wohnung nur noch sporadisch verlassen, sodass selbst der alte Greis aus dem ersten Stock bei den Nachbarn Nachforschungen darüber angestellt hatte, ob Dinah noch am leben sei.

Bis auf die Nächte, die sie im angrenzenden Park verbrachte, mied sie das geschäftige Treiben vor ihrer Apartmenttür. Dort, wo sich das wirkliche und bittere Leben abspielte, da war Dinah schon lange nicht mehr anzutreffen. Mit der Einsamkeit entwickelte sich eine miese Phobie, die ihr alles verbot, was mit einer Linksdrehung ihres Türknaufes und einem Verlassen ihrer Komfortzone zur Folge hatte.

Nur im Dunkeln, wenn die Stadt zu schlafen schien oder sich zumindest nichts mehr auf den Straßen abspielte, traute sie sich nach draußen. Neben ein paar Obdachlosen und einigen Hundebesitzern, von denen sie fand, dass die bescheuertsten unter ihnen die meiste Ähnlichkeit mit ihrem sabbernden Tier hätten, war nach einundzwanzig Uhr so gut wie niemand mehr im Park unterwegs.

Bis sie eines Tages ihre gesamten Hemmungen für einen kleinen Augenblick über Bord warf. Denn ganz entgegen ihrer scharfen Vorurteile und ihrer Zurückgezogenheit musste es dann wohl doch an seinen dunkelblonden Locken und seinen markanten Gesichtszügen gelegen haben, dass sie sich bei Steve mit den Worten “Ich bin Hundesitterin und kenne mich mit ‘Problemfällen’ aus” vorstellte, ohne sich dabei selbst wiederzukennen, während sich sein Kläffer schwanzwedelnd und knallvergnügt an ihrem Bein zu schaffen machte.

Nun hatte Dinah unerwartet einen neuen Job. Seit zwei Wochen führte sie Porpes mittlerweile aus. Ging mit ihm Gassi und versuchte gleichzeitig ihre Phobie wie einen Hirtenhund zu hüten. Porpes, ein viel zu lockiger, viel zu lebhafter, viel zu junger und viel zu drahtiger Lapradoodle stellte Dinahs Ängste auf eine unausweichliche Probe. Porpes war einer dieser Welpen, für den tausend Reize nicht ausreichend genug waren. Ständig hatte er seine Schnauze irgendwo drin, seine Nase hinein gestupst oder seine Pfoten braun und staubig gewühlt. Nichts schien ihn zu überfordern. Der Geruch von “nassem Hund” nach seinen unmanierlichen Bädern im Parksee forderten Dinah heraus und versetzten ihre Nasenschleimhäute in einen Krieg gegen seine Natur. 

Nein, Hunde waren wirklich nicht ihr Steckenpferd. Aber am allerschlimmsten waren für sie die regelmäßigen Spaziergänge durch diese furchtbar lebendige Stadt. Bei jedem Spaziersitting fühlte sie sich wie früher als sie noch ein Auto besaß. Gefangen im stockenden Verkehr.  Ein Passant nach dem anderen hielt sie an und befragte sie zu dem hübschen Tier an ihrer Seite. Dieses ganze Theater um diesen Hund, dachte Dinah dann. Das gesteigerte Interesse der anderen ging ihr gehörig auf den Senkel. Nur wenn Dinah an das Herrchen von Porpes dachte, wusste sie warum sie das alles auf sich nahm.

 “Ist das ein Mädchen? Ja, ein feines Mädchen bist du…”

Und schon hatte die erste Frau für den heutigen Spaziergang das knuffige Ende der Leine entdeckt und Dinah fragte sich augenrollend, was um alles in der Welt passieren musste, damit man Porpes endlich übersehen würde. Die grauhaarige Dame, deren Dutt senkrecht auf ihren Kopf angeschraubt zu sein schien, bückte sich entzückt zu Porpes hinunter, während sie ihren Hintern der vorbeilaufenden Menge präsentierte.

“Nein. Das ist ein Rüde”, gab Dinah gelangweilt zur Kenntnis und Porpes bewies, dass irgendwie doch Verlass auf ihn war. Er ließ es sich nicht nehmen und schleckte der Dame mit seiner noppigen Zunge kernig einmal quer übers das mit Falten durchsetzte Gesicht.

 “Das ist aber ein aufgewecktes Kerlchen!”, sprühte die Dame vor Freude und forschte grabschend nach einem Stofftaschentuch in ihrem Einkaufskorb.

Wenn er ihr so gut gefällt, dann soll sie ihn doch gleich mitnehmen, flüstere Dinah unwirsch.

“Was sagen Sie, Kindchen?”, lächelte die Dame nichtsahnend.

“Mögen Sie Hunde?” Mit einem hämischen Grinsen untermalte Dinah ihre rhetorische Frage und verstand endlich dessen Bedeutung.

“Und ob! Und ob!”, gab die Dame energisch zu Protokoll und bekräftigte Dinahs Nachforschung mit einem enthusiastischen Kopfnicken. 

“Das freut mich. Dann sind Sie genau die richtige!”

Dinah wedelte lockend mit der Leine und streckte sie der Dame schließlich einladend entgegen.

“Hören Sie, ich bin Wissenschaftlerin und mache eine Studie zum Thema “Welpen in der Stadt”. Es geht darum, wie viel Zeit man effektiv mit einem fremden Hund in der Menge verbringen kann. Ich möchte das arme Tier natürlich nur in freundliche Hände geben, aber Sie scheinen genau die richtige für die Studie. Es dauert auch nicht lange. Hätten Sie vielleicht Lust…”

Und bevor Dinah es aussprechen konnte, griff die Dame freudestrahlend nach der Hundeleine und versicherte herzlich mit ihrem ganzen Einsatz auf den lockigen Freund aufzupassen, um eine Runde um den Block zu drehen. 

“Er heißt übrigens Porpes”, unterbrach Dinah und schaute auf ihre Uhr. “Ich würde sagen, ich stoppe die Zeit und wir treffen uns gleich hier wieder. Was sagen Sie?”

“Was ich sage? Gerne sage ich, gerne”, erwiderte die Dame blitzschnell mit einem beschwingten Grinsen, das man nur von Kindern kennt, denen man erlaubt in Schokoladeneis und Smarties zu baden. Dann zog sie mit dem Labradoodle ab.

Sie leistet der Wissenschaft einen hervorragenden Dienst, dachte Dinah sarkastisch und atmete so erleichtert aus, als hätte sie soeben einen breiigen Hundehaufen mit den bloßen Händen entsorgt.

Dinah nutzte die Chance inmitten hektischer Menschen und besann sich auf den eigentlichen Grund ihrer völlig bescheuerten Idee sich als Hundesitterin auszugeben. Ihre rosableichen Lippen musste sie unbedingt noch einmal mit frischem Gloss versehen. Entschlossen fischte sie ihr Mobiltelefon aus den Tiefen ihrer Tasche. Dann wählte sie aufgeregt seine Nummer. Schnell meldete sich das andere Ende.

“Steve?”, fragte Dinah in den Hörer und wusste genau, dass er es war. “Hier ist Dinah.”

“Die, die sich so wunderbar mit lebhaften Hunden auskennt? Alles ist Ordnung?”

“Äh – nein. Also ja – alles in Ordnung. Ich wollte dich etwas fragen”, Dinah zögerte und schluckte nervös ihre Spucke herunter. “Ich bin gerade in der Nähe unseres Parks und ich frage mich, ob du nicht vielleicht später – wenn ich dir Porpes vorbeibringe – Lust auf einen Kaffee mit mir hast?”

“Wo seid ihr denn gerade?”, fragte er lauernd.

“Ich – “, Dinah zögerte. “Wir – stehen gerade vorm FreshFoods.”

“FreshFoods?” Weißt du was – ich bin gerade ganz zufällig in deiner Nähe. Kaffee klingt gut. Lauf nicht weg. Ich bin gleich da.” Dinah hörte Steve noch sprechen, aber im nächsten Moment wurde das Telefongespräch mit einem gurgelnden Klicken beendet und die Verbindung getrennt. Überrumpelt presste Dinah das Handy noch eine Weile fest an ihr Ohr. 

Nicht weglaufen, dachte sie panisch. Der hat gut reden. Dinahs Herz klopfte so wild, als wollte es ihre Brust verlassen. Aber nun nicht mehr wegen Steve. Oder dem Kaffee.

Was sollte sie jetzt tun? 

Steve empfangen – ohne seinen Porpes? Undenkbar.

Fliehen? Wie ein feiges Huhn, das sie ohnehin viel zu lange gewesen war?

Den Hundesitterjob wäre sie nach diesem Desaster ohnehin los, vielleicht noch das beste an der ganzen Situation. Viel schlimmer aber wäre es, Steve zu verlieren ohne ihm jemals nahe gewesen zu sein.

Der Hund muss her, dachte Dinah. Schleunigst bei Fuß. Diese verdammte Töle.

Mit weit aufgerissenen Augen stand sie vor dem Drehkreuz des Supermarktes und verkeilte ihre Zehen in den viel zu unbequemen Ballerinas. Ihre Wangen glühten mittlerweile und ihre Lügen schienen es sich an einem inneren Lagerfeuer gemütlich gemacht zu haben.

Dann sah sie Steves Auto am Ende des Parkplatzes und wie er versuchte es in eine viel zu enge Parklücke zu quetschen. Verzweifelt hielt sie Ausschau nach Porpes und der alten Dame. Weit und breit nichts zu sehen. Wie viel Minuten musste die Redewendung “ein Mal um den Block” lang sein? In diesem Augenblick jedenfalls um einiges länger als gewöhnlich. Steve verließ seinen Wagen. Er hatte sein Schlachtschiff zum Stehen gebracht, bereit für ein Verhör ohne es zu ahnen. Die Lichter blinkten hektisch auf und ab und die Automatik des Autos gab mit doppeltem Gehupe ihre Verriegelung zum besten.

Endlich erblickte Dinah auch Porpes. Nie hatte sie sich mehr gefreut den Kleinen zu sehen. Ausgelassen bellend und fröhlich mit dem Schwanz wedelnd führte ihn die Alte an der Leine. Gleichzeitig trafen Steve und Porpes vor dem Eingang des FreshFoods ein.

Mit funkelnden Augen streckte die Dame Dinah die Leine entgegen. “So ein toller, braver, kleiner Racker. Ich habe ihm noch ein bisschen Wasser in einem Laden besorgt. Es ist doch so warm heute. Wie lange war ich denn nun unterwegs und war das hilfreich für ihre Studie?”

“Studie?”, fragte Steve ungläubig. “Was für eine Studie? Kann mir mal jemand erklären was hier los ist?”

Dinah stand wie statuiert vor den zweien und ließ ihren Blick abwechselnd zwischen Steve und der Dame hin und her schweifen. Wenn sie jetzt nicht die Wahrheit sagen würde, könnte sie Steve komplett vergessen.

“Steve – ich bin keine Hundesitterin. Ich habe dir das damals im Park nur erzählt, weil ich dich kennenlernen wollte.” Dann wandte sie sich der Dame zu. “Und wissen Sie, ich mag eigentlich gar keine Hunde. Jedenfalls nicht so sehr wie sie es tun.”

Steve räusperte sich. Aufgebracht schüttelte er den Kopf. “Du lügst mich mit an, weil du mich kennenlernen willst und überlasst meinen Hund einer Fremden, weil du ihn nicht magst? Das muss ich mir erst mal…”

“Weil – ich mich in dich verliebt habe”, platzte es schließlich aus Dinah heraus.

Dann nahm sie die Leine, die ihr die Dame immer noch entgegen hielt und senkte beschämt den Kopf. “Ach Kindchen”, beugte sich die Dame ihr mit mütterlichem Gemüt entgegen. “Ein solches Geheimnis ist wahrhaftig kein ehrenwertes, aber die Quintessenz des Beweggrundes ist viel größer noch als jede Lüge.”

Steve hatte sich inzwischen zu Porpes auf den Asphalt gehockt und ihn stürmisch hinterm Ohr gegrault, während Porpes ihm entwich und Dinah freudig am Knöchel leckte. Ihre Füße steckten immer noch in den hübschen, aber viel zu unbequemen Ballerinas.

“Porpes scheint dich trotzdem zu mögen”, sagte Steve schließlich. Und er sah Dinah an, als könnet er es vielleicht auch. 

Trotzdem.

 

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