Johanna Sophie
Heute präsentiere ich euch in meinem Buch.Tipp das Debüt der Nachwuchs-Autorin Johanna Sophie: WO DER SCHMERZ EINEN HÄLT UND DIE HOFFNUNG WÄCHST.
Auf 84 Seiten (be)schreibt Johanna über das Fallen. Von Schmerz. Von Ambivalenz. Vom Kranksein. Doch auch das Hoffen wird groß geschrieben und die Sehnsucht, denn vom Aufstehen und vom Wachsen, darüber, und das hat sie mit der Veröffentlichung ihres Debüts bewiesen, kann sie ein und mehrere Gedichte schreiben.
Die Melodie einer Lebensrettung
Wer schon mal ein Gedicht über den eigenen Seelenzustand verfasst oder sich den Liebeskummer von der Seele geschrieben hat, der weiß, welchen heilenden Prozess, das Schreiben an sich, aber besonders das Schreiben von Gedichten haben kann. Ich kenne es nur zu gut.
Bereits der Titel von Johannas Gedichtband lässt vermuten, was die Leser:innen erwartet und auch das Inhaltsverzeichnis verrät es dann genauer: Es geht ums Fliegen, ums Fallen, ums Hoffen und ums Wachsen. Am Ende verlässt sie ihre Leser:innen mit einem hoffnungsvollen Epilog und spätestens bei der Widmung „Für alle, die kämpfen“ wird deutlich, dass wir es hier mit härteren Geschützen zu tun haben, im Kampf um seiner eigenen Willen, gegen sich, gegen das Unbekannte, ja, gegen was eigentlich?
Es ist ein Lyrikband, keines, dem Liebeslyrik innewohnt. Vielleicht die Liebe zu sich selbst. Die jedoch gut verborgen scheint. Hinter Mauern, hinter Wänden, Medikamenten wohnt. Vor allem aber lese ich zwischen den Zeilen vom Sichselbstfinden, von Selbstanerkennung, sich kennen zu lernen, zu nehmen wie man ist und vom Sehen. Mit dem Herzen. Den Blick nach Innen richten und sich im Außen finden.
Denn, um gesehen zu werden, musst man es vor allen anderen erst einmal selbst tun. Sich selbst (an)sehen. Ganz zu schweigen von dem Eigengefühl zu sich selbst. Wie fest hält dich beispielsweise dein eigener Perfektionismus? Stichwort: Kontrolle. Was bereitet dir Glück? Was Unbehagen und wie äußerst du das? Bist du ehrlich zu dir selbst? Was ist dein Paradoxon im Leben? Wo sitzen deine Seelenwunden? Was sind deine Kopfgeister, deine (vielleicht krankmachenden, dich stressenden) Grübelgedanken? Wen oder was musstest du begraben? Physisch oder seelisch? Was sind deine täglichen Tode, die du stirbst? Für andere?
(Wie) fühlst du dich denn selbst?
P r o l o g
in letzter zeit
wünsche ich mir den frühling
herbei
denn so wie die blumen wachsen
so wachsen auch wir
Eben dieser Prolog begegnet uns am Ende noch einmal. Dieses Mal in einem Epilog und einer neuen Strophe, die von den Epilogversen umrahmt wird. Wir dürfen hoffen, für die Autorin, die selbst das lyrische Ich ist, und uns so nah an sich heranlässt, dass die Wechselhaftigkeit des Frühlings ihr die „perfekten Bedingungen, um weiter zu wachsen‘ ermöglicht, denn „wie die Blumen (…) „in voller blüte“ (…) erhält/erhielt sie die Chance „sich zu entfalten“.
Und ja, eben dieses Ende, das kein Ende, vielmehr einen Neuanfang darstellt, wie der Frühling selbst, diese Schlussrede ist der Auftakt zu ihrer Danksagung, in der man über die helfenden Hände um sie herum liest und diese in jedem Wort erspürt. Doch, und das liest man in den hoffnungsgestimmten Gedichten, sie hat vor allem selbst hart gearbeitet, hat gekämpft und gekämpft und sich nicht schlagen lassen „du spielst ein spiel mit mir und setzt mich jedes mal schachmatt„. Auch lässt es sich die junge Lyrikerin nicht nehmen, eine Liste mit Adressen und Kontakten für Menschen in seelischer Not aufzuführen.
Schreiben, um zu (Über)Leben
In WO DER SCHMERZ EINEN HÄLT verarbeitet Johanna Sophie ihre Krankheit, die sich erahnen lässt, ohne das man sie mit einer Diagnose genauer benennen oder kategorisieren oder stigmatisieren muss: „ich tue und mache um nicht die leere zu spüren“, „ich fliege, aber ich falle“, nur dass ich es nicht merke, denn es fühlt sich anfangs so gleich an“, „einfach das adrenalin spüren“, „manchmal bin ich ebbe, manchmal bin ich flut“ – denn wir alle wissen, dass sich in eine Schublade, in eine Diagnose pressen zu lassen, macht uns manches Mal kränker, als wir es überhaupt sind.
In einem Auszug aus dem Pressetext über Johanna Sophies erstes Buch heißt es, das Schreiben habe einen therapeutischen Zweck für sie gehabt und ihr buchstäblich das Leben gerettet. „So wurde das Schreiben der Zeilen des Buches ein Teil ihres Heilungsprozesses.“ Sie gibt Einblicke in ihre Schattenwelt und setzt sich mittels ihre klaren, greifbaren direkten und vorbildhaften Lyrik und den ungeschönten, ausdrucksstarken („ich habe mich verloren“, „ich bin nichts wert“) Zeilen für „die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten wie sämtliche Formen der Essstörung oder auch Borderline ein.“
b e i p a c k z e t t e l II
wenn du drauf bist
geht es dir gut
du liebst das leben
du liebst die leute
und dann
wenn du merkst
dass du wieder du selbst
bist
und wieder in die Realität gleitest
willst du sterben
Die heute in Göttingen lebende Nachwuchs-Autorin hat uns nicht nur Strophen mit tiefen Einblicken, traurigen Einsichten, schonungsloser Ehrlichkeit, aber Worte von unbändiger Kraft hinterlassen, vor allem mutmachende Gedichte mit lebenskraftschöpfenden Ausblicken und Aussichten, die uns und jedem einzelnen innerhalb einer Gesellschaft den Spiegel vorhalten.
Trotz Krisen. Trotz Herausforderungen. Trotz seelischer und physischer Traumata („das Bett / eigentlich ein sicherer ort / ein Ort zum zur ruhe kommen / nur haben sich dort / die schlimmsten dinge abgespielt“) und psychischer Erkrankung. Denn, die Frage, und die bleibt nicht im luftleeren Raum, ist, wer oder was macht jemanden krank und wieviel Krankheit steckt in jeder:m von uns?
Johanna macht Mut und trotzdem trägt ihr lyrisches Werk dazu bei, dass das Leben der anderen (vielleicht auch das eigene) von Zeit zu Zeit, so sehr die Hoffnung, der Kampf gegen wasundwenauchimmer und die Zuversicht uns nach vorne treiben, als solches zu sehen, als was sie es in ihrem Gedicht auf Seite 37 beschreibt: Als „rückfall„.
Wie verarbeitest du (seelischen) Schmerz? Vertraue es mir doch gerne in den Kommentaren an.
Danke fürs Lesen und deine Aufmerksamkeit.
Deine